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Rot-Gelb — ohne Scheuklappen über alle Wege diskutieren

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Unser Gastautor Lasse Becker ist Bundesvorsitzender der JuLis, der Jugendorganisation der FDP. Er arbeitet und lebt in Hessen.

Politiker diskutieren Koalitionsfragen häufig, als seien sie etwas Emotionales oder eine Gewissensfrage. In Wahrheit sind sie bei unserem Wahlrecht aber nichts anderes als die Notwendigkeit zur Umsetzung politischer Inhalte. Wohl jede politische Partei würde eine Alleinregierung gegenüber einer Koalition bevorzugen, aber die politischen Realitäten sehen einfach anders aus – das wird auch Olaf Scholz in Hamburg früher oder später merken.

Ein Jahr lang gab es in Hessen sogenannte „Hessische Verhältnisse“, während denen ein Ministerpräsident weiterregierte ohne eine Mehrheit im Parlament zu haben. Als jemand, der damals schon als hessischer Landesvorsitzender der Jungen Liberalen dicht an vielen Entscheidungen dran war, kann ich nur sagen: Es lag an der Verbohrtheit für Gedanken außerhalb der Konvention und den vorschnellen Festlegungen und Ausschlüssen vor der Wahl. Die SPD schloss eine Regierung mit der Linken aus und beschimpfte die FDP. Die FDP schloss eine Regierung mit der SPD aus. Die CDU eine Regierung mit den Grünen und die Grünen natürlich auch eine Regierung mit der CDU. Das Ganze wurde garniert mit einer SPD-Ministerpräsidentenkandidatin, für die der Grundsatz „links von mir ist die Wand und die Linkspartei steht rechts“ zu gelten schien. Das erleichterte die Diskussion genauso wenig wie ein Hardliner-Ministerpäsident der Union.

Aber was haben wir daraus gelernt? Beim zweiten Anlauf in Hessen wurden weniger Optionen ausgeschlossen und Koalitionsfragen wurden auf das zurückgeführt, was sie sind.

Koalitonsfragen sind Sachfragen

Bei der Bildung von Koalitionen geht es weder im Bund noch auf Landesebene um irgendein Glaubensbekenntnis oder lebenslange Bündnistreue. Es geht vielmehr darum, in einem partnerschaftlichen Verhältnis die Politik eines Bundeslandes oder der Bundesrepublik zu gestalten.

Für Liberale sollte der Grundsatz deshalb nicht sein, zu fragen, mit wem man schon immer regiert hat, sondern zu schauen, mit wem man liberale Inhalte umsetzen kann. Denn dafür – für die Umsetzung des Wahlprogramms – wird man gewählt. Natürlich kann es sein, dass man manchmal vor Wahlen schon sehr deutlich sehen kann, dass man mit dem einen oder anderen Partner wahrscheinlich wenig Chancen hat, Inhalte umzusetzen, aber Ausschlüsse von Optionen sollten dennoch die Ausnahme bleiben.

In Fragen der Bürgerrechte oder der Gesellschaftspolitik werden Liberale wohl die größte Schnittmenge mit den Grünen haben – und vielleicht mit manchen SPDlern, die nicht gerade dem Überwachungswahn von Otto Schily verfallen sind. Auf der anderen Seite wird die FDP in der Steuer– und Wirtschaftspolitik vielerorts meistens mehr Schnittmengen mit einigen Vertretern der CDU haben.

Allerdings gehört dazu auch ein gewisses Verständnis und der Umgang mit den politisch Andersdenkenden: In Hessen wollte mir mal ein Juso erklären, dass ich viel mehr Übereinstimmungen mit Andrea Ypsilanti als mit Jürgen Walter – ihrem damaligen parteiinternen Gegenspieler, der eher Anhänger der Agenda-SPD war – gehabt hätte, was einfach nur absurd war. Man neigt dazu in politischen Parteien, die eigenen Positionen auch auf andere Parteien übertragen zu wollen. Das endet dann meist in Intoleranz gegenüber der anderen Meinung. Wenn Andrea Ypsilanti der FDP Koalitionsgespräche auf Landesebene nur dann anbietet, wenn man eine Bundesratsinitiative zum Mindestlohn mitträgt, die weder ein Landesthema wäre, noch für die FDP auf Landesebene irgendwie erklärbar gewesen wäre, dann war ein solcher Brief nichts anderes als eine Finte, die den gegenüber keinen Millimeter ernst nahm.

Ich habe zwei junge Kreistagskollegen von CDU und SPD, die beide als Überzeugungstäter in ihrer jeweiligen Richtung mit Sicherheit eher ins Konservative bzw. Linkssoziale gehören. Aber mit beiden kann ich persönlich sehr gut umgehen, weil ich sie für ihre Meinung respektiere. Das verschwindet bloß leider auf überregionaler Ebene sehr schnell.

Doch gerade wenn es bei Koalitionsfragen um Sachfragen geht, heißt es natürlich auch, dass man sich an die selbst gefassten Grundsätze halten muss, wenn man vor der Wahl etwas kommuniziert.

Was heißt das konkret?

Für die aktuellen Wahlen finde ich es durchaus verständlich, dass man in Baden-Württemberg eine andere Linie fährt als in Rheinland-Pfalz. Das ist auch alles unabhängig von Berlin: Eine Bundesregierung ist für vier Jahre gewählt und auch eine Koalition geht nicht unter, sondern wird vielleicht sogar zu besserer Arbeit angetrieben, wenn es einen Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Koalitionskonstellationen in den Ländern um die bessere Umsetzung von Inhalten gibt.

Mit vielen zur Mitte ausgerichteten Sozialdemokraten in Hamburg könnten sich aber auch für Liberale erhebliche Schnittmengen ergeben. Natürlich: Auch ich kann die Hamburger SPD verstehen: Die FDP Hamburg war in den letzten Jahren sicher nicht immer nur Querelen-frei. Aber ist das mit den Grünen, die einfach „just for fun“ die letzte Koalition beendet haben, anders? Und gerade die neue Führungsspitze um Katja Suding, die eine Landesliste zusammengestellt hat, bei der alle vorderen Kandidaten wirklich sofort in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen, eröffnet eine riesige Chance.

Natürlich hofft mancher SPDler auf eine Alleinregierung, aber das wird meiner Einschätzung nach nicht passieren. Eine konstante Bürgerschaftsfraktion mit der Fast-noch-JuLi Katja Suding an der Spitze und weiteren JuLis, wie Finn-Ole Ritter und Robert Bläsing, die eben nicht mehr in Koalitionsdogmen der letzten 15 Jahre verfangen sind, könnte auch eine Chance für andere Kooperationen eröffnen. Diese Chance sollte Olaf Scholz am Sonntag nutzen, seine Alternative sind die Grünen, die dann wahrscheinlich auch die nächste Koalition wieder frühzeitig beenden würden, wenn sie sich davon parteitaktische Vorteile versprechen.

Deshalb haben Henning Voscherau und Siegfried Lenz durchaus Recht, wenn Sie Olaf Scholz raten, auf die FDP zuzugehen. Neue Perspektiven zu haben, schadet nie. Und warum sollte Hamburg nicht bei einem erfolgreichen Einzug einer jungen und schlagkräftigen FDP am Sonntag gemeinsam sozialliberal regiert werden? Es kommt schließlich nicht auf das Etikett an, sondern auf das, was an Politik rauskommt und da scheinen mir bei vielen Themen durchaus größere Schnittmengen von SPD und FDP in Hamburg vorhanden zu sein – genau wie im Bund eben momentan für uns in einer anderen Konstellation mit der Union größere Schnittmengen da sind.

Eins ist aber klar: Die Wählerinnen und Wähler werden am Sonntag in Hamburg – so oder so – die richtige Entscheidung treffen. Die Frage ist nur, ob die Parteien zu sehr in ihren alten Denkstrukturen gefangen sind, oder bereit sind, einen neuen Weg zu gehen und mehr Wert auf Inhalte als auf Koalitionsausschlüsse zu legen. Ich bin gespannt.


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